Rede zum Abschlussbericht der Enquetekommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte
Rede zum Abschlussbericht der Enquetekommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte
„Der Unterschied zwischen Gott und den Historikern besteht hauptsächlich darin, dass Gott die Vergangenheit nicht mehr ändern kann.“ Ich stelle dieses Zitat des englischen Schriftstellers Samuel Butler absichtlich an den Anfang meiner Rede. Denn, meine Damen und Herren, es steht einem Landtag nicht zu, Gott zu spielen und die Vergangenheit zu ändern. Aber ein Landtag kann Vergangenheit bewerten. Lassen Sie mich daher, bevor ich auf einige ausgewählte Ergebnisse der Enquetekommission eingehe, drei grundsätzliche Vorbemerkungen zur der Arbeit der Kommission machen.
Die erste Vorbemerkung betrifft das Gremium als solches. Enquetekommissionen wurden Anfang der 90er Jahre vom Landtag als Möglichkeit geschaffen, zentrale, zukünftige Entscheidungen des Parlamentes fundiert vorzubereiten. Daher heißt es auch in §1 Abs. 1 des entsprechenden Gesetzes: „Enquete-Kommissionen des Landtages haben die Aufgabe, umfangreiche Sachverhalte, die für Entscheidungen des Landtages wesentlich sind, durch Sammlung und Auswertung von Material sowie durch Anhörung von Sachverständigen zu klären.“ Zwei Enquetekommission, eine 1997 und eine 2011, wurden mit genau dieser eigentlichen Intention auf den Weg gebracht.
Vor diesem Hintergrund ließe sich trefflich darüber streiten, ob eine Enquetekommission das geeignete Instrument ist, eine größtenteils historische Aufarbeitung vorzunehmen. Meine Fraktion hat von Beginn an die Gefahr gesehen, dass hier Aufarbeitung und aktuelle politische Auseinandersetzung vermischt und die Kommission instrumentalisiert wird. Die meisten Redner*innen hatten in der Debatte zur Einsetzung im März 2010 zwar betont, dies nicht zu wollen – die Anfangsmonate unserer Beratungen haben allerdings die Befürchtungen der LINKEN bestätigt. Die ersten Sitzungen waren von einem hohen Erregungsgrad und medial ausgetragenen Deutungskämpfen bestimmt. Ich will an dieser Stelle aber auch allen Mitgliedern der Enquete dafür danken, dass wir im weiteren Verlauf der Enquetekommission mehr und mehr zu einer sachlichen Debatte gekommen sind.
Zweite Vorbemerkung: Ein Gremium eines Parlamentes ist immer – auch wenn es mit wissenschaftlichem Sachverstand bereichert wird – ein parlamentarisches und damit politisches Gremium. Das wirft die Frage auf, ob ein dezidiert politischer Blick ein guter Ausgangspunkt für eine Aufarbeitung sein kann. Betrachtet man die verschiedenen Facetten der Aufarbeitung, so ist die juristische weitestgehend abgeschlossen. Die historische aber kann – schon nach dem Selbstverständnis der Historiker – bestenfalls am Anfang stehen. Hinzu kommt, dass eine Enquetekommission eben keine historische Fakultät ist und ich erinnere an die Abgeordnete Geywitz, die in der Debatte zur Einsetzung vor 4 Jahren mahnte, „(…) die Suche nach der Wahrheit nicht in eine Kommission zu delegieren (…)“. Der von der Kommission im November 2010 angehörte Professor Meier, Historiker der LMU München hat dazu einen bemerkenswerten Satz gesagt: „Ich bin der Meinung, dass eigentlich die Geschichte eines Staates, wenn er unterlegen ist oder sogar aufgelöst wird, von den Besiegten geschrieben werden muss.“ Und er präzisierte auf Nachfrage: „Von jemand, der Vertreter der DDR gewesen ist, der an die DDR geglaubt hat, sie regiert hat und deren Ambiente bewahrt hat.“ Unter diesen Voraussetzungen konnte also der Anspruch der Enquetekommission nie sein, sich umfänglich und abschließend mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur und deren Folgen befassen. Wir haben uns einen politisch bewusst gesetzten Ausschnitt betrachtet und diesen mit wissenschaftlicher Unterstützung letztlich auch politisch bewertet.
Dritte Vorbemerkung: Nicht erst in den 40 Sitzungen der Enquetekommission fand Aufarbeitung im Land Brandenburg statt. Immer wieder wurde behauptet, es wäre über die DDR-Vergangenheit im Land und im Landtag geschwiegen worden – auch Herr Vogel hat in seiner Rede zur Einsetzung der Kommission im März 2010 von „Vertuschung und Verharmlosung“ und von „Jahren des Schweigens“ gesprochen.
Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
es ist mit Sicherheit in den Jahren vor 2009 nicht so intensiv über die DDR, die Wende und die Folgen der SED-Diktatur diskutiert worden. Aber es gab Debatten. Es gab Veranstaltungen. Es gab Publikationen und es gab vor allem intensive Auseinandersetzungen. Das Thema war im Bereich der historischen Forschung und auch der politischen Bildung immer präsent, wie die Aktivitäten des ZZF oder der Landeszentrale für Politische Bildung beweisen. Nur weil Debatten nicht immer einer großen medialen Aufmerksamkeit unterliegen, nur weil sie nicht „laut“ sind heißt das nicht, dass geschwiegen wird. Ich will hier gar nicht auf die zahllosen Aktivitäten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Naumann-Stiftung, der Adenauer-Stiftung etc. eingehen. Ebenso wenig will ich hier aufführen, was innerhalb der Parteien, gerade auch in der PDS, in den 90er Jahren für Diskussionen stattgefunden haben. Allein die Suche der Parlamentsdokumentation zeigt zum Stichwort DDR in der ersten Wahlperiode 223, in der zweiten Wahlperiode 195, in der dritten Wahlperiode – interessanterweise die mit der ersten CDU-Regierungsbeteiligung – noch 61 und in der vierten Wahlperiode 306 parlamentarische Fundstellen. Ähnliches gilt für das Stichwort SED. Ich möchte hier an die unterschiedlichsten Debatten im Landtag erinnern: im Januar 1992 zur Einsetzung des Stolpe-Untersuchungsausschusses, im Juni 1994 zum entsprechenden Abschlussbericht, im Dezember 1994 über das Vermögen der DDR-Parteien und Massenorganisationen, im Januar 1995 über den Umgang mit der Überprüfung im öffentlichen Dienst, im September 1995 zu dem Bericht der Landesregierung genau diesem Thema, im Februar 1998 zur Entschuldung von LPG-Nachfolge-Einrichtungen, im Juni 1998 zur Diskriminierung von DDR-Abschlüssen und viele, viele weitere. Der Landtag hat nie geschwiegen zu dem Thema. Die Debatte über DDR, SED, Stasi und Aufarbeitung hätten sicherlich umfassender sein können – das lässt sich im Rückblick immer gut sagen. Ich bin mir auch sicher, dass die Einsetzung einer Beauftragten für die Bewältigung der Folgen der SED-Diktatur schon in den 90er Jahren noch einmal eine Aufwertung und Intensivierung der Auseinandersetzungen gebracht hätte. Aber ich wiederhole erneut: zu behaupten, es wäre bewusst geschwiegen worden, ist genauso falsch wie zu behaupten, es hätte keinerlei Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gegeben.
Die Kommission hatte einen umfangreichen Auftrag zu vielen einzelnen Themen abzuarbeiten und obwohl wir auch über wirtschaftliche Probleme oder Demokratiedefizite gesprochen haben, lag doch der Schwerpunkt auf den direkten Folgen der SED-Diktatur und dem Umgang der Gesellschaft mit den Eliten der DDR und den Mitarbeiter*innen des MfS. Das verwundert schon deshalb nicht, weil diese beiden Bereiche das größte öffentliche Interesse erzeugen und mit ein Anlass für die Einsetzung der Kommission waren. Ob eine bestimmte Koalition Grund genug für eine dauerhafte hitzige öffentliche Debatte über Stasi und SED und für eine Aufarbeitung im Landtag ist, mag jede und jeder für sich individuell bewerten. Aber ganz objektiv hat es neben den lange bekannten Abgeordneten mit MfS-Vergangenheit in meiner Fraktion in den Anfangsmonaten der rot-roten Koalition zwei neu veröffentlichte Fälle von IM-Tätigkeit in unseren Reihen gegeben. Von daher waren Fragen berechtigt, von daher war der Wunsch nach Aufklärung nicht von der Hand zu weisen. Und daher möchte ich auch an dieser Stelle für die Abgeordneten, die nicht die Kraft hatten, entsprechend der Parteibeschlüsse der LINKEN mit ihrer Biografie in Gänze transparent umzugehen, bei den Wählerinnen und Wählern um Entschuldigung bitten.
Der Abschlussbericht enthält neben der Zusammenfassung unserer Arbeit auch zahlreiche Handlungsempfehlungen. Beides kann man an dieser Stelle wegen der gebotenen Ausführlichkeit unmöglich wiedergeben, daher will ich mich auf einige Punkte beschränken.
Erstens: Entgegen den Erwartungen einiger Kommissionsmitglieder hat sich im Rahmen unserer Arbeit gezeigt, dass Brandenburg nach der Wende keinen grundlegend anderen Weg beschritten hat als die anderen ostdeutschen Bundesländer. Die gesetzlichen Bestimmungen z.B. für den Umgang mit Opfern des SED-Regimes oder für den Umgang mit Staatseigentum oder für den Umgang mit Eigentums-Ansprüchen galten bundesweit. Brandenburg ist in einigen Bereich anders verfahren als andere, das ist richtig. So wurde hier z.B. bei der Überprüfung der Landesbediensteten auf MfS-Tätigkeit der jeweilige Einzelfall geprüft. Dieser Weg erwies sich als gerichtsfest, im Gegensatz zu den anderen ostdeutschen Bundesländern konnte sich in Brandenburg kaum jemand nach einer Entlassung in den Landesdienst wieder einklagen. Das bedeutete ein höheres Maß an Rechtsfrieden.
Zweitens: Brandenburg hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Bereichen positiv entwickelt. Dazu hat der auf Konsens orientierte Weg Anfang der 90er Jahre beigetragen. Die Politik und die Gesellschaft standen direkt nach der Wende vor großen Herausforderungen. Damit ist nicht nur die Aufarbeitung der Vergangenheit gemeint – sondern vor allem der Aufbau einer funktionierenden Demokratie, der Auf- und Umbau einer tragfähigen Verwaltungsstruktur auf Landes- und kommunaler Ebene, die Herausforderungen des Arbeitsmarktes, der Umgang mit munitionsbelasteten Flächen und vieles weitere. Es waren – und ich sage das als junger Abgeordneter mit großem Respekt vor der Leistung der Menschen im Land und der Abgeordneten der ersten Wahlperioden – es waren anspruchsvolle, arbeitsreiche, oft beschwerliche Jahre des Neubeginns. Den Brandenburgerinnen und Brandenburgern ist hier durch große Kraftanstrengung wirklich beachtliches gelungen.
Diese Energie konnte mobilisiert werden, weil man gemeinsam und im Konsens versucht hat, die Dinge anzupacken. Allein die Diskussionen um die neue Landesverfassung waren in ihrer Breite, in ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Meinungen und in ihrem Wunsch, viele unterschiedliche Positionen zu vereinen, ein Musterbeispiel für einen demokratischen Prozess. Man mag diesen Prozess abschätzig als „Brandenburger Weg“ abtun. Aber es war der Versuch, gemeinsam etwas für das Land zu erreichen, niemanden auszugrenzen und möglichst viele mitzunehmen auf dem Weg in das neue Brandenburg. Oder um es mit den Worten Manfred Stolpes zu sagen: Der Brandenburger Weg war der Versuch, die Transformation sach- und menschengerecht zu vollziehen.
Drittens: Im Laufe unserer Arbeit wurden einige Lücken bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte und des Übergangs in das politische System der Bundesrepublik aufgedeckt, die jetzt zügig geschlossen werden sollten. Auch hier kann ich nur einige Beispiele anführen.
Dazu zählt zuerst eine bessere Unterstützung der Opfer der SED-Diktatur. Damit sind nicht nur die finanzielle Unterstützung im Rahmen eines Härtefallfonds oder bessere Regelungen zur Rehabilitierung gemeint sondern auch eine breitere öffentliche Würdigung und eine größere Anteilnahme an den zahlreichen Schicksalen der Opfer. Es war schon sehr berührend, die Berichte der Menschen in der Kommission zu hören und es war wichtig, ihnen Gehör zu verschaffen.
Lücken zu schließen heißt aber auch, dass in den Fällen, wo in den 90er Jahren keine Überprüfung von Landesbediensteten auf MfS-Tätigkeit stattgefunden hat, diese nun nachgeholt werden sollten. Hierbei sollte auch der Landtag als Beispiel vorangehen und künftig seine Abgeordneten wieder auf Stasi-Tätigkeiten überprüfen.
Verbessert werden muss auch unserer Sicht auch der Zugang zu Informationen und Wissen über die DDR-Zeit. Dazu sollte z.B. die Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern weiter qualifiziert und fachfremder Unterricht in Geschichte und Politischer Bildung vermieden werden. Die Weiterbildung sollte nach unserer Auffassung in der regulären Arbeitszeit möglich sein. Zusätzlich sollten auch die vielen regionalen Museen in ihrer museumspädagogischen Arbeit qualifiziert werden – hier gilt für uns zwingend der Beutelsbacher Konsens mit seinem Überwältigungsverbot.
Heilungsbedarf sehen wir auch hinsichtlich der Folgen einiger LPG-Umwandlungen, die nicht immer transparent und rechtskonform abgelaufen sind. Hier ist die Landesregierung gefordert, auf die Betroffenen zuzugehen. Auch sollte die Landesregierung nicht in ihrem Bemühen nachlassen, für die Grundstücke aus Bodenreform-Land weiterhin Erben zu suchen.
Eine weitere Lücke, die sich während unserer Arbeit offenbart hat, ist die erhebliche Benachteiligung von Ostdeutschen und speziell von Brandenburger*innen beim Zugang zu Spitzenpositionen im Landesdienst. Ob in Ministerien, Verwaltungen oder Hochschulen – die Eliten des Landes sind oft nicht von hier. Das hat einerseits zwar nachvollziehbare, historische Gründe, zeigt aber andererseits auch einen bedenklichen Mangel und ein großes Defizit an Gerechtigkeit. Wenn im Wissenschafts-, im Innen- und im Finanzministerium nicht ein einziger Abteilungsleiter oder nicht eine einzige Abteilungsleiterin seit 1991 eine ostdeutsche Biografie hat, dann kann das nicht mehr nur mit Qualifikationen zu tun haben. Der Zugang zu diesen Ämtern muss daher für Ostdeutsche und Brandenburger*innen erleichtert werden.
Schließlich haben wir den Bedarf erkannt, die demokratische Kultur im Land weiter zu stärken. Hier ist das Land gefragt, den Kommunen mehr Entscheidungsspielräume zu geben, um ihre demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten aufzuwerten. Dies wird auch dazu beitragen, sie weiter gegen Rechtsextremismus zu immunisieren.
Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
der Blick zurück ist immer wieder wichtig. Von daher hat die Enquetekommission – würde man ihre Arbeit bilanzieren – wichtiges geleistet. Ihre Empfehlungen zielen darauf ab, Missstände zu beheben und die Entwicklung in Brandenburg weiter voranzubringen. Meine Erwartung an die Landesregierung ist, dass sie sich ernsthaft mit den Empfehlungen beschäftigten und sie so weit wie möglich umsetzen möge.
Wir können unter die Aufarbeitung der DDR-Geschichte heute keinen Schlussstrich ziehen. Die Gesellschaft bleibt aufgerufen, das Erbe der DDR als das einer Diktatur kritisch zu beleuchten. Doch sollte dabei – anders als im Umgang mit dem verbrecherischen Nationalsozialismus – immer der Grundsatz gelten, dass es unterschiedliche Perspektiven auf die Vergangenheit gibt und diese auch akzeptiert werden sollten. Wir sollten nicht versuchen, eine einzige Sicht der Dinge zu oktroyieren. Ich zitiere: „Der nun fast zwanzig Jahre währende Versuch einer Generaldelegitimierung der DDR nimmt selbst schon totalitäre Züge an.“ Wir sind gut beraten, diese Warnung von Friedrich Schorlemmer ernst zu nehmen. In diesem Sinn danke ich den Mitgliedern der Enquetekommission für unsere gemeinsame Arbeit und wünsche eine interessante und nachdenkliche Lektüre des Abschlussberichtes.
Vielen Dank