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Offener Brief: Was ist Ihre Triebfeder, Herr Lengsfeld?

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Der Berliner Bundestagsabgeordnete Dr. Philip Lengsfeld hat in der Zeitung Potsdamer Neueste Nachrichten einen Beitrag über den aktuellen Potsdamer Streit um den Wiederaufbau der Garnisonkirche verfasst. Ob aus Polemik oder Unkenntnis – er wirft den Gegner*innen des Wiederaufbaus vor, in Tradition der SED zu agieren und religiöses Leben bekämpfen zu wollen. Man muss es leider so und nicht anders sagen: Wäre Herr Lengsfeld mal lieber bei der Laserkristallisierung amorphen Siliziums geblieben. Was treibt einen Berliner Bundestagsabgeordneten zu dem Potsdamer Streit Stellung zu nehmen? Was treibt einen Berliner Bundestagsabgeordneten, der meines Wissens nach noch nie mit den Gegner*innen gesprochen hat, sich derart abfällig über dieses bürgerschaftliche Engagement zu echauffieren? Oder hat die PNN schlicht keinen anderen gefunden, der sich äußern mochte?

Ich selbst kann nicht für die organisierten Gegner*innen des Wiederaufbaus sprechen – aber ich bin auch ein Gegner. Ich halte – im Gegensatz zu Herrn Lengsfeld – die Symbolik des „Tages von Potsdam“ auch heute noch für so immens, dass kein wie auch immer gearteter Informationsteil in einer wiederaufgebauten Kirche dem gerecht werden könnte. Aber die Gründe gegen den Wiederaufbau hat das Bündnis „Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche“ umfassend und detailliert dargestellt. Aber eine Ungeheuerlichkeit muss klar gestellt werden: gerade weil diese „jungen Potsdamer Studenten“ eben nicht geschichtsvergessen sind, weil sie eben keine Bildungslücken die jüngste deutsche Geschichte betreffend haben, engagieren sie sich gegen diesen Wiederaufbau! Und es sind in Potsdam zum Glück sehr breite Bevölkerungsschichten, die sich gegen den Wiederaufbau einsetzen. Auch bringt es nichts, lieber Herr Lengsfeld, die eigenen Bildungslücken zu übertünchen, indem man lauthals anderen Menschen Bildungslücken vorwirft! Und ein Letztes kann ich Herrn Lengsfeld versichern: als Mitglied in der Enquetekommission des Landtages, die sich mit dem Erbe der DDR in Brandenburg befasst hat, weiß ich sehr wohl, wie intensiv in den Schulen die jüngste deutsche Geschichte thematisiert wird – sowohl die vor, als auch die nach 1945. Ein zivilgesellschaftliches Engagement zu diskreditieren, indem man die „ihr-habt-keine-Ahnung“-Keule schwingt – das ist unredlich!

Was mich daher viel mehr bewegt hat, mich an Herrn Lengsfeld zu wenden, ist sein impliziter Vorwurf, wie auch immer „links“ verortete Menschen (seiner Auffassung nach in SED-Tradition) würden religiöse Aktivitäten bekämpfen. Man kann in seinem Beitrag auch einen entsprechenden Vorwurf an das Rot-Rot-regierte Brandenburg herauslesen. Und hier irrt der Herr Doktor. Gewaltig. Ich will gar nicht darauf eingehen, dass sich die Kirche in den letzten Jahren durch eigenes Verschulden eher selbst bekämpft haben – die Stichworte Tebartz-van Elst, Kinderschändung, antiquiertes Frauenbild sollen dafür genügen. Dieses Brandenburg hat – und das ist sicherlich nicht unumstritten – enorm viel für den Erhalt und den Wiederaufbau kirchlichen Eigentums getan. Allein in den Denkmalschutz alter Dorfkirchen sind in den vergangenen 20 Jahren über 30 Mio. Euro geflossen. Das Land hat mit hohem finanziellen Engagement kirchliche Kleinöde wie das Stift Neuzelle oder die Klöster in Chorin und Lehnin wiederhergestellt. Unzählige Kirchen – allein in meinem Wahlkreis – konnte mit Unterstützung des Landes und der Kommunen ganz- oder teilsaniert werden. Der Vorwurf, hier würden wie vor 1989 christliche Gemeinden zerstört werden, ist abstrus. Aber allein aufgrund bundes-, ja europaweiter Tendenzen hat die Zahl der Kirchenmitglieder drastisch abgenommen. Allein in den vergangenen zwei Jahren hat die Evangelische Kirche über 20.000 Mitglieder in Brandenburg verloren (jetzt 390.000), die Katholische Kirche hat über 15.000 Mitglieder weniger (jetzt 62.000). Und trotz dieser Entwicklung hat das Land Brandenburg – auch das sicher umstritten – die Zuweisungen an die Kirchen nicht nur konstant gehalten, sondern teilweise sogar erhöht. Die Evangelische Kirche erhielt 2009 noch 10,2 Mio. Euro, 2014 sind es 10,8 Mio. Euro, die jüdischen Gemeinden erhielten 2009 noch 200.000 Euro, in diesem Jahr sind es 500.000 Euro.

Niemand, der bei klaren Verstandes ist und die Fakten kennt, kann daher Behauptungen aufstellen wie Herr Lengsfeld. Es sei denn, er will eigenen Positionen gegen alle Widerstände und Vernunft durchprügeln. Man kann für den Wiederaufbau der Garnisonkirche sein – diese Meinung steht allen offen. Ich bin froh, dass in Potsdam viele anderer Meinung sind und dies auch zum Ausdruck bringen. Dieses Engagement derart in den Dreck zu ziehen gehört sich nicht – schon gar nicht für einen Berliner Bundestagsabgeordneten.

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