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Zur Konstituierung des neuen Landtages: Manchmal ist Zuhören besser …

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Gestern fand die erste Sitzung des neuen Landtages statt. Traditionell eröffnet der/die  Alterspräsident/in die Sitzung – leider fiel diese Ehre diesmal Herrn Gauland von der AfD zu. Man muss es nicht gut finden, dass 12% der Wähler*innen in Brandenburg die AfD gewählt haben, man kann es auch bedauern, dass der älteste Abgeordnete just aus dieser Fraktion kommt, man muss über die inhaltlichen und personellen Hintergründe der Partei informieren – aber der Bohei mancher um die parlamentarische Tradition einer Eröffnungsrede war übertrieben. Es gibt gefährliche Menschen mit rechtsextremer Gesinnung in den Reihen der AfD – Herr Gauland zählt nicht dazu. Man muss sich nicht mit seinem höchst konservativen Weltbild anfreunden, man darf ihm seine populistischen Wahlkampf-Maßnahmen genauso wenig durchgehen lassen wie seinen Einfluss auf die personelle Gestaltung der jetzigen AfD-Fraktion – aber ihm deswegen den Mund zu verbieten ist nicht der richtige Weg der Auseinandersetzung.

Zumal seine Rede jeglicher Befürchtung einer rechten Polterei entgegenstand. Vielmehr äußerte Herr Gauland in seiner sehr staatstragenden Rede durchaus kluge Gedanken zum Wesen eines Abgeordneten. Im Kern widersprach er sich und seiner Wahlkampf-Führung sogar, indem er darauf verwies, Abgeordnete dürften nicht Stammtisch-Parolen nachgeben, nicht Einzelinteresse bedienen. Sein Bezug auf Edmund Burke, wonach Abgeordnete im Zwiespalt stehen zwischen der Vertretung regionaler Interessen und der Vertretung des ganzen Landes, ist in der Tat eine hoch aktuelle und richtige Beobachtung. Abgeordnete haben ein freies Mandat und sollen dem Wohl des ganzen Landes dienen – an diesen Worten ist nichts auszusetzen und mancher Gedanke in der Rede wäre es Wert gewesen, von allen gehört zu werden.

Und dennoch muss sich auch Herr Gauland für seine Rede Kritik gefallen lassen. Schon seine Wortwahl von den „enormen Flüchtlingsströmen“, die unser Land vor neue Herausforderungen stellen, ist fragwürdig. Dieses Thema als eines der wichtigsten Probleme Brandenburgs zu benennen ist sicherlich übertrieben – demografischer Wandel, Gesundheitsversorgung, Bildungsgerechtigkeit – diese Themen stehen wirklich oben auf der Agenda. Auch dass in den Augen von Herrn Gauland die Gleichberechtigung von Frauen eher ein post-industrielles „Sonderthema“ ist, spricht viel für sein Weltbild. Gänzlich irrt sich Herr Gauland aber, wenn er das Engagement vieler Bürgerinitiativen für ein Problem für das Land hält. Seiner Meinung nach würden diese zahlreichen Interessengruppen den „volonté general“, den allgemeingültigen Willen, gefährden. Nein, ganz im Gegenteil: diese Bürgerinitiativen bereichern das politische Leben des Landes, sie helfen mit, einen neuen „volonté general“ für unser Land zu finden – einen Willen, den möglichst viele für allgemeingültig halten. Wenn das in den nächsten 5 Jahren besser gelingt als zuvor, wenn Politik wieder hingeht, zuhört, einlädt, diskutiert, beteiligt – dann nehmen auch wieder mehr Menschen ihr Wahlrecht wahr.

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