← Zurück zur Artikelauswahl

Die Wissenschaft frisst ihre eigenen Kinder

Print Friendly, PDF & Email

Das Wissenschaftssystem ist darauf angelegt, sich seinen eigenen Nachwuchs zu generieren. Über verschiedene Qualifikationsstufen wird so wissenschaftlich exzellentes Personal produziert, um Forschung und Lehre fortführen zu können. So die Theorie. In der Praxis gelingt es der Wissenschaft immer weniger, genau dies zu erreichen und die Gründe dafür sind vor allem selbstgemacht.

Der wissenschaftliche Nachwuchs – in Sonntagsreden immer hoch gelobt – wird aber im Alltag in der Wissenschaft eher stiefmütterlich behandelt. Deutliches Zeichen dafür ist der nun schon 3. Bundesbericht über den wissenschaftlichen Nachwuchs, der im Auftrag des Bundesforschungsministeriums von einer Gruppe wissenschaftlicher Einrichtungen erstellt wird. Bei Lichte betrachtet ist der Bericht sowohl ein Armutszeugnis für die Wissenschaft selbst und als auch für die Wissenschaftspolitik.

Der wissenschaftliche Nachwuchs – immerhin rund 145.000 Menschen in Deutschland – hat mit zunehmend prekären Verhältnissen zu kämpfen. Eine Karriere in Lehre und Forschung ist in unserem Land zunehmend unattraktiv. Das beginnt mit der Feststellung, dass im Durchschnitt erst mit über 32 Jahren promoviert, erst mit 41 Jahren habilitiert und im Schnitt mit auch erst mit Anfang/Mitte 40 eine Professur erreicht wird. Hinzu kommt, dass nur rund 22% der Menschen, die eine Promotion beginnen, diese auch erfolgreich abschließen. Und von diesen erfolgreich promovierten Menschen entscheidet sich ein Fünftel für die Wissenschaft, fast die Hälfte geht nach der Promotion in die Wirtschaft. Von 100 Menschen, die eine Promotion anstreben, verbleiben letztlich nur 4 in der Wissenschaft!

Diese dramatische Entwicklung muss Ursachen haben – und auch dazu gibt der Bericht Hinweise. Zum einen arbeiten über 80% der Promovend*innen während ihrer Qualifikation, davon fast zwei Drittel in Vollzeit – keine gute Voraussetzung für einen erfolgreichen Abschluss. Die Promotionsstellen sind nahezu alle befristet, in über der Hälfte der Fälle sogar kürzer als ein Jahr – denkbar schlechte Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten, dass auch noch familiäres berücksichtigen sollte. Und auch die Verdienstmöglichkeiten sind als Promovend*in überschaubar – 12% sind trotz ihres Einkommens sogar armutsgefährdet. Die Betreuung hingegen scheint weniger ein Problem zu sein, über die Hälfte der Nachwuchswissenschaftler*innen ist mit der Betreuung während der Promotion zufrieden oder sehr zufrieden.

 

Seit knapp 10 Jahren wird die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses mit dem Bericht beleuchtet – aber wirkliche Schlüsse daraus zieht die Politik kaum. Zu Recht hat die GEW im Herrschinger Kodex und im Templiner Manifest Forderungen für attraktive Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft aufgestellt. Einige Bundesländer haben inzwischen ein Mindestmaß an Verbesserungen umgesetzt wie beispielsweise Mindestvertragslaufzeiten, verpflichtende Promotionsvereinbarungen oder verpflichtende Anteile an der Arbeitszeit für die Qualifikation. Aber das reicht bei Weitem nicht. Auch ein mickriges Bundesprogramm für den Nachwuchs im Rahmen von 1.000 Juniorprofessuren ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn selbst Ministerin Wanka mehr unbefristete Stellen fordert, scheint es zumindest ein Problembewusstsein zu geben.

Eine Karriere in der Wissenschaft muss dringend attraktiver gemacht werden. Dafür braucht es sichere, langfristige Arbeitsverträge, eine angemessene Vergütung, ausreichend Zeit für die Qualifitkation mit einer guten Betreuung, eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie und eine entsprechende Perspektive für die Nachwuchswissenschaftler*innen. Sonst droht dem Wissenschaftssystem in Deutschland der Nachwuchs abhanden zu kommen – mit dramatischen langfristigen Folgen. Darum: Wissenschaft braucht Nachwuchs und muss auch etwas dafür tun!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert