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Tanzt! Tanzt! Vor allem aus der Reihe!

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Vor wenigen Wochen war es wieder da – das altbekannte Ritual, sich kurz vor Karfreitag über das Tanzverbot an diesem Tag zu echauvieren. Von kirchlicher Dominanz wird da geredet und laut gegen die Unfreiheit gewettert und ein angeblicher Zwang zu religiösem Verhalten behauptet, den das Feiertagsgesetz verordnen würde. Aber was genau ist dieses Tanzverbot eigentlich und was soll das alles?

Schon lange gibt es in Deutschland (und nicht nur hier) an bestimmten Tagen ein Verbot allzu vergnüglicher Aktivitäten wie eben Tanzen. Es rührt von einer Zeit, die tatsächlich noch stärker mit traditionell christlichen und sittlichen Gebräuchen verknüpft war als es heute der Fall ist. Man muss diese und andere Gebräuche nicht teilen und etliche sind zum Glück auch heute nicht mehr mehrheitsfähig in der Gesellschaft. Von gerade durch die christlichen Kirchen vorangetriebenen Erscheinungen wie „Hexen“-Verfolgung mal ganz abgesehen. Der Kampf für eine Gleichberechtigung der Frau, für Toleranz gegenüber Homosexualität, das Überwinden fragwürdiger Moralvorstellungen ist eine gesellschaftliche Leistung, die richtig und notwendig war und ist und hoffentlich niemand verneint. Und gerade Religionsgemeinschaften tun sich mit gesellschaftlichen Neuerungen sehr schwer, sei es die Ordination von Frauen, die Heirat gleichgeschlechtlicher Paare oder ähnliches.

Trotz allem gibt es in Deutschland religiöse Traditionen, die tief in der Gesellschaft verwurzelt sind. Was sollte auch schlecht sein an einem Erbe der 10 Gebote oder der christlichen Soziallehre, wie sie Jesus Christus vorgelebt hat? Nun haben sich Traditionen aus den unterschiedlichsten Gründen und in den unterschiedlichsten Formen erhalten – ein Ausdruck davon sind die gesetzlichen Feiertage in Deutschland.

 

Jedes Bundesland kann diese Feiertag selbst regelt und so ergibt sich eine Vielzahl von Regelungen. Schon die Festlegung, was gesetzlicher Feiertag ist und was nicht unterscheidet sich da. Für Deutschland gilt: je südlicher, desto mehr. Während es z.B. in Schleswig-Holstein oder Niedersachsen nur 9 Feiertage gibt, sind es in Baden-Württemberg 12 und in Bayern 14. Dabei sind in der Regel nur 3 Feiertage ohne christlichen Urspung: der 1. Januar, der 1. Mai und der 3. Oktober. Alle anderen haben ihre Wurzeln in der Tradition des Christentums (bei genauerer Betrachtung natürlich auch des Judentums). Nun kann man trefflich darüber streiten, inwiefern denn diese Tage noch im Sinne der Religion begangen werden oder nicht. Nominell bzeichnen sich etwa 23,7 Mio. Menschen in Deutschland als Katholik*innen, 22,2 Mio. Menschen als Evangel*innen – das sind jeweils etwas mehr als 1/4 der Bevölkerung. Wie viele davon ihrer Konfession auch tatsächlich nachgehen ist irrelevant – Religion und Religionsausübung ist Privatsache. Fakt ist: über die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland definiert sich selbst als zugehörig zum christlichen Glauben. Als explizit konfessionslos bezeichnet sich rund 1/3 der Deutschen – beides differiert stark nach Regionen.

Alle Gesetze dazu in Deutschland regeln für die Feiertage (und die Sonntage) ein Arbeitsverbot – wobei Ausnahmen möglich sind – und untersagen Handlungen, die die Ruhe des Tages stören oder dem Wesen dieser Tage widersprechen. Auch der Sonntag ist übrigens ein christlich verwurzelter Ruhetag. An den so genannten „stillen“ Feiertagen gilt zudem eine besondere Ruhepflicht. Auch das regeln die Bundesländer sehr unterschiedlich. Während z.B. in Bremen das Tanzen am Karfreitag nur von 6 Uhr bis 21 Uhr untersagt ist, gilt es in 12 Bundesländern ganztägig. Weitere Tage mit Tanzverbot sind der Volkstrauertag (kein christlicher Tag, warum hat sich da noch niemand über das Verbot beschwert?) und der Totensonntag. An diesen Tagen sind nicht nur öffentliche Tanzveranstaltungen verboten, sondern auch Sportveranstaltungen, oft auch Märkte, der Betrieb von Spielhallen und der Schankbetrieb. Ähnliche Verbote gibt es teilweise am Gründonnerstag, an Allerheiligen, Am Buß- und Bettag und am Heiligabend.

 

Wenn man sich also kritisch mit dem Tanzverbot auseinandersetzen möchte, dann bitte für alle Verbote und auch für alle Tage, an denen das gilt. Und dann ist man schnell bei zwei grundsätzlichen Fragen:

  1. Darf/Kann/Soll der Staat bestimmte Veranstaltungen für gewissen Tage verbieten und somit eine Schutzwürdigkeit dieser Tage betonen?
  2. Sollten wir auch heute noch Feiertage gesetzlich festlegen, die einen religiösen Ursprung haben?

Erstens: natürlich kann der Staat per Gesetz das Versammlungsrecht einschränken. Und es ist auch vor dem Hintergrund von Arbeitnehmer*innen-Rechten begrüßenswert, wenn der Staat Ruhetage von der Arbeit festlegt. Insofern sind Sonntage und Feiertage zweitens besonders geschützte Tage und das zu Recht. In Zeiten, in den immer öfter und lauter nach Leistung gerufen und Beschäftigte nahezu immer und überall auf Abruf bereit stehen sollen sind Regelungen zur Ruhe schlicht menschenfreundlich. Eine LINKE, die sogar über die 30-Stunden-Arbeitswoche diskutiert (Interview Bernd Rixinger) und Arbeitsstress reduzieren will (Antrag der Linksfraktion im Bundestag) sollte auch die Ruhe- und Feiertage entsprechend ehren.

Aber muss es ausgerechnet an diesen Tagen sein? Was wäre denn die Alternative? Frei wählbare Feiertage für jeden Menschen? Das volkswirtschaftliche Chaos wäre undenkbar. Die bestehende Feiertage sind traditionell in unserer Gesellschaft gewachsen – ob es einem gefällt oder nicht. Niemand muss an diesen Tagen fasten, beten, an Aufzügen teilnehmen, einem geborenen oder gestorbenen Heilland verehren – aber die Festlegung genau dieser Tage als Feiertage entspricht einer lange Verwurzelung. Löst man einzelne Feiertage heraus, an dem kein besonderer Schutz mehr gelten soll, stellt sich bald die Frage nach allen Feiertagen.

 

Man soll und man muss darüber diskutieren, ob nicht wie im Feiertagsgesetz in Hamburg (muslimische) oder Bayern (israelitische) auch religiöse Feiertage anderer Glaubensgemeinschaften als der christlichen Eingang finden sollten. Der Respekt, den die (konfessionslose oder atheistische) Gesellschaft vor der Bedeutung und den Einschränkungen an christlichen Feiertagen haben sollte, muss auch für die Bedeutung von Feiertagen anderer Religionsgemeinschaften gelten.

Man soll und man muss darüber diskutieren, ob die Verbote von vergnüglichen Veranstaltungen tatsächlich ganztägig sein müssen oder ob sie nicht wie in Bremen oder Berlin am frühen Abend enden können.

Man soll und man muss darüber diskutieren, ob nicht Veranstaltung auch an „stillen“ Feiertagen ermöglicht werden könnten, wenn sie auf den Charakter des Tages Rücksicht nehmen oder einem höheren Interesse der Kunst, Wissenschaft oder Volksbildung dienen – so wie es beispielsweise in Niedersachsen oder Sachsen-Anhalt heute schon möglich ist.

 

Ja, das Tanzverbot ist antiquiert. Aber es hat seine Wurzeln, eine Tradition in einem – ohne Frage heute deutlich weniger – religiös geprägten Land und dient dem besonderen Schutz und der besonderen Ruhe an einer Handvoll ausgewählter Tage im Jahr. Das sollte die LINKE eher verteidigen und über eine zeitgemäße Anpassung diskutieren – anstatt religiös definierte Feiertage wild drauf los zu kritisieren. Möglicherweise sind wir da gar nicht so weit von den Kirchen entfernt – zumindest wenn man dem Kirchenlehrer und Philosophen der Spätantike, dem heiligen Augustinus von Hippo folgt: „Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel nichts mit dir anzufangen.“

 

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