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Screenshot von Youtube

hARTE Zensur?

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Im Frühjahr 2015 hat der Autor Joachim Schroeder eine gute Idee: er reicht beim Sender ARTE den Vorschlag für eine Dokumentation über Antisemitismus in Europa ein. Der Programmrat von ARTE gibt (wenn auch nur mit knapper Mehrheit) sein ok, Schroeder und – neu dazugekommen – Sophie Hafner machen sich ans Werk und liefern Ende 2016 einen fertigen Film ab. ARTE will den Film nun aber nicht mehr zeigen und seitdem gibt es eine umfassende Debatte: über den Film, über Zensur.

Ja, Antisemitismus ist ein Problem in Europa. Ob als traditioneller Judenhass mit Stereotypen wie den „Brunnenvergiftern“, ob rassistisch motivierter Antisemitismus oder ob als verschleierter Antizionismus – Hass, Ablehnung, Gewalt gegen Jüdinnen und Juden ist ein Alltagsproblem in vielen verschiedenen Ebenen. Darum ist es wichtig und notwendig, darüber öffentlich zu reden und auch medial zu berichten. Schon allein daher ist die Dokumentation von Schroeder und Hafner wertvoll und wichtig. Der Film, der kurz bei der Bild-Zeitung online zu sehen war und inzwischen bei Youtube steht, beleuchtet viele Aspekte von Judenhass: von links, von rechts, aus christlichen und muslimischen Kreisen, in der Popkultur oder in der Boykott-Bewegung BSD. Natürlich kann ein Film über 90 min nicht vollständig sein, natürlich muss ein solcher Film auswählen, zuspitzen, vereinfachen, weglassen. Aber die Übersicht über antisemitische Erscheinungen in Europa ist gut – auch wenn die beiden Autor*innen rechtsextremen Judenhass kaum näher beleuchten, obwohl dieser dort immer noch massiv ist.

Warum also den Film nicht zeigen? ARTE selbst gibt zunächst als Begründung an: der Film sei eine Provokation, er sei nicht ergebnisoffen, die Verabredung, Ahmad Mansour als Autor zu gewinnen, sei nicht eingehalten worden (er war Berater des Films). Ergebnisoffen? Wie soll eine Dokumentation über Antisemitismus ergebnisoffen sein? Hätte beleuchtet werden müssen, warum die Juden doch an allem Schuld sind? Und ja, der Film mag provozieren – aber warum stört das ARTE als Kultursender? Ist es nicht auch Aufgabe von Kunst und Kultur, zum Denken anzuregen, vertraute Wege zu verlassen, eben zu provozieren? Ahmad Mansour sagt in einem Interview selbst, dass es Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist, auf Probleme aufmerksam zu machen und dass auch er den Film gut findet.

 

Sechs namenhafte Wissenschaftler*innen – u.a. Götz Aly, Michael Wolffson, Charles Small – haben den Film begutachtet und ihn für wissenschaftlich, ausgewogen und sehr gut befunden. Dass ihn ARTE trotzdem nicht zeigt, spricht Bände über den inhaltlichen Einfluss des Senders auf sein Programm. Götz Aly sagte der Berliner Zeitung: „Wer verhindert, dass der Film bei Arte oder im Programm der ARD gezeigt wird, begeht Zensur – sei es aus Wurstigkeit, Feigheit oder „antizionistischem“ Ressentiment.“

Genau darum geht es: der Film legt eine Wunde in in die breite, graue Masse des Judenhasses in Europa. Judenhass und antisemitische Klischees finden sich eben nicht nur in rechtsextremen CDs und Webseiten, sondern in vielen Bereichen der Gesellschaft, meist getarnt, verkleidet, versteckt. Aber auch das ist Judenhass – anders sind die mehrfach belegten 15 – 20 Prozent der Bevölkerung, die eine konstant negative Einstellung zu Jüdinnen und Juden haben, nicht zu erklären. Das aufzudecken ist die Stärke der Dokumentation. Das aufzudecken ist das das Problem von ARTE. Der Sender will die heftige und schmerzhafte, aber notwendige Debatte nicht führen. Dafür lässt er den Film lieber in der Schublade verschwinden. Das ist falsch und deshalb muss es jetzt ein Thema des deutschen Programmbeirates von ARTE, von ARD und ZDF werden.

Ein Gedanke zu “hARTE Zensur?

  1. Übrigens ist der Film auf den angegebenen links aus urheberrechtlchen Gründen nicht mehr zu sehen: Es müsste wohl eigentumsrechtlichen Gründen heißen… und mit den Rechten zum Schutze der Persönlichkeit und leider ein weiteres Beispiel dafür, wie über diese Rechte wichtigere wie das der Informationsfreiheit abgeschafft werden – die vielen für immer geschwärzten Stellen in veröffentlichten Dokumenten sind die wohl folgenreichsten Beispiele…

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