Diese Forderung nach Islamkritik is lahm
Ein Mitglied der LINKEN in Sachsen-Anhalt hat für den kommenden Bundesparteitag vom 8. – 10. Juni 2018 einen Antrag (hier auf seinem Blog) gestellt, in dem er eine linke Islamkritik fordert. Nun kann man zum Islam im Speziellen und zur Religion im Allgemeinen stehen wie man will – aber etliche Formulierungen und Forderungen aus dem Antrag sind falsch und helfen nicht für eine kritische Sicht auf den Islam.
Das beginnt bei der Ausgangsthese des Antrages: Weil der Islam kritikwürdig ist und es bisher nur Kritik an ihm aus der rechten Ecke gibt und wir diese Kritik nicht den Rechten überlassen dürfen, braucht es eine linke Islamkritik. Schon diese Grundlage des Antrages ist falsch. Zum einen gibt es abseits rechter Kontexte sehr wohl Kritik am Islam – wie auch immer man diese einschätzt und bewertet. Ob das Muslimische Forum Deutschlands, ob Hamed Abdel-Samad, Ahmad Mansour, Abdelwahab Meddeb oder Ayaan Hirsi Ali (um nur einige zu nennen) – die Auseinandersetzung mit dem Islam ist da. Zum anderen ist Islamkritik weit entfernt davon, Grundlage unseres Selbstverständnisses als LINKE zu sein, wie der Antragsteller behauptet. Kritik am Kapitalismus – ja, Kritik an gesellschaftlichen Fehlentwicklungen – ja, Kritik an Rassismus, Unterdrückung und Benachteiligung – ja. Aber wenn unser Selbstverständnis als LINKE von der Kritik an einer Religion abhängt, dann sind wir auf dem falschen Gleis.
Geradezu hanebüchen ist dann die Feststellung: „Befindet man sich jedoch in einem Staat, in welchem man Folter und andere Menschenrechtsverletzungen fürchten muss, so befindet man sich mitten in einer klerikal-islamischen Theokratie“. Bitte was? Seid wann sind China oder Myanmar islamische Staaten? Amnesty International listete 2014 in einem Bericht 141 Staaten auf der Welt auf, in denen gefoltert wird. So verbreitet ist der Islam – und dann auch noch als Theokratie – nun wirklich nicht. Aber der Hauptgrund, warum die in diesem Abschnitt aufgemachte Forderung nach einer Bekämpfung islamischer Regierungsformen so nicht übernommen werden kann, ist unser eigenes Grundsatzprogramm, in dem es heißt:
„Die LINKE ist eine internationalistische Friedenspartei, die für Gewaltfreiheit eintritt, ob im Inneren von Gesellschaften oder zwischen Staaten. Daraus leiten wir unser Engagement gegen Krieg, Völkerrechtsbruch, Menschenrechtsverletzungen und militärische Denklogiken im Umgang mit Konflikten ab. Neben der Kritik an Gewaltakteuren und an gewaltfördernden Machtstrukturen geht es uns um die Aufklärung über tiefere Zusammenhänge von Konfliktursachen. Gemeinsam mit Friedensbewegungen und allen friedensorientierten Partnern ringen wir um Wege zu struktureller Gewaltprävention und für einen zivilen Konfliktaustrag. Unser Leitbild ist die Idee des gerechten Friedens, der mehr bedeutet als die bloße Abwesenheit von Gewalt, weil er soziale wie ökonomisch und ökologisch nachhaltige Bedingungen als Voraussetzung für dauerhafte friedliche Entwicklungen erachtet.“
Ebenso undifferenziert sind die Aussagen zur Todesstrafe. Natürlich gibt es islamische Staaten, in denen die Todesstrafe verhängt und vollzogen wird. Genauso unstreitig ist es, dass es auch islamische Länder gibt, in denen die Strafen unverhältnismäßig, mittelalterlich und barbarisch sind. Das darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Liste der Staaten mit Anwendung der Todesstrafe sehr lang ist und sich nicht auf islamische Staaten beschränkt. Daher wäre Solidarität mit allen Opfern gerechtfertigt, nicht nur mit denen von „Mullah-Regimen“. Es hilft übrigens in solchen Kontexten wenig, Stellen aus dem Koran zu zitieren – ähnlich absurde oder nach heutigem Verständnis unmenschliche Passagen finden sich ebenso in der Thora oder der Bibel und es gibt leider auch in diesen Religionen Menschen, die diese Stellen allzu wörtlich nehmen.
Zugegeben – ein Kopftuch nicht als Symbol der Unterdrückung zu identifizieren fällt schwer. Aber Frauen das Recht abzusprechen, frei über das Tragen zu entscheiden, ist falsch. Ja, es gibt Zwang – aber es gibt genauso die selbstbewusste und freie Entscheidung, es zu tragen. Ihnen indirekt vorzuwerfen, sie hätten den Unterdrückungsmechanismus des Kopftuches nur noch nicht verstanden und ihnen damit Kleidungsvorschriften zu machen ist vor allem eins: sexistisch. Und auch wenn es ohne Frage Judenhass und Antisemitismus in muslimischen Kontexten gibt und dies kritisiert und bekämpft werden muss – es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden, dass z.B. nahezu alle (95%) antisemitischen Delikte 2017 von rechts begangen wurden!
Bei aller Islam- und Islamistenkritik darf übrigens nicht vergessen werden, dass etliche versuchte Terroranschläge in Deutschland von Deutschen ohne Migrationshintergrund begangen wurden und der glühende Salafist Pierre Vogel ebenso keine familiären Verbindungen in muslimische Bereiche hat.
Völlig unreflektiert lässt der Antrag außerdem, dass gerade der Islam derzeit in einer Art und Weise öffentlich widergespiegelt wird, die ihm nicht gerecht wird. Es gibt eine faktische Gleichsetzung von Islam und Gewaltbereitschaft bzw. Terror und diese Konnotation nimmt der Antrag – bewusst oder unbewusst – auf.
Der Antrag erreicht nicht das, was er vielleicht möchte. Religion kann man kritisieren und man muss immer das Verhältnis von Religion zur Gesellschaft kritisch hinterfragen. Daher ist es ohne Frage auch Aufgabe einer LINKEN, sich mit anti-emanzipatorischen Elementen von Religionen zu befassen und solche Bündnispartner zu unterstützen, die sich für ein aufgeklärtes Religionsverständnis einsetzen. Der Antrag aber vermengt islamische Vorurteile, falsche Feststellungen und undifferenzierte Betrachtungen zu einem kruden Mix. Zumal ständig „islamische“ und „islamistische“ Zuschreibungen durcheinander gehen. So jedenfalls sollte ihn der Bundesparteitag ablehnen. Wie sich DIE LINKE zu Religionen im Allgemeinen und zum Islam im Speziellen stellen sollte, beschäftigt gerade übrigens eine vom Parteivorstand eingesetzte Kommission. Auch der kritische Umgang mit dem Islam spielt dort eine Rolle – daher macht es vielleicht mehr Sinn, die Ergebnisse dort abzuwarten, bevor nach eine „linken“ Islamkritik gerufen wird.