Von einem „gespenstischem“ Namenszug
In den vergangenen Wochen konnte man Karl Marx medial kaum entkommen. Sein 200. Geburtstag war und ist noch Anlass, sich mit ihm auseinanderzusetzen und sich an ihn und seine Werke zu erinnern. Dabei schießen einige Wortmeldungen übers Ziel hinaus, so wie die Kritik von Sachsen-Anhalts Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur an einem Schriftzug vor einer Schule letzte Woche.
Die Sekundarschule „Karl Marx“ in Gardelegen hatte zum Jubiläum ihres Namenspatrons den ehemaligen Schriftzug des abgerissenen Schulgebäudes dank eines engagierten Bürgers (dem ehemaligen Kultusminister von Sachsen-Anhalt) in renovierter Form wieder vor der Schule aufgestellt. Dieser an sich positive Vorgang verleitete nun die Landesbeauftragte Frau Neumann-Becker zu einer zweiseitigen Pressemitteilung, in der sie ihr Unverständnis kundtat. Die Kritik reicht dabei von der Verwendung roter Farbe für den Schriftzug (die den DDR-Anklang offensichtlich zum Ausdruck bringen würde) über den angeblich mit dem Schriftzug verbundenen positiven Bezug zur Erziehungsdiktatur im DDR-Unterricht bis hin zum fehlenden Engagement der Schule für chinesische Dissident*innen. Sie vermengt zudem die Kritik an der Schule mit einer grundsätzlichen Kritik am Marxismus, den Auswüchsen kommunistischer Diktaturen, stalinistischen Massengräbern und den GULAGs. Das ist alles recht krude, wird dem Anlass in keiner Weise gerecht und ist auch einer Landesbeauftragten nicht würdig.
Festzuhalten bleibt: in der Schule hat es zum Namen durchaus eine längere Auseinandersetzung gegeben. Die mündete 2012 in einer Befragung aller Schüler*innen und deren Eltern (an der 65% aller Elternhäuser teilnahmen) und mit einem recht klaren Ergebnis (65% sprachen sich für den Erhalt des Namens aus) sowie einer Abstimmung in der Schulkonferenz, die sich mit 19 zu 12 Stimmen (61%) für „Karl Marx“ entschied. Gerade eine Landesbeauftragte, die sich mit der Aufarbeitung der SED-Zeit beschäftigt und sich um Demokratie sorgt, sollte einen solchen demokratischen Prozess respektieren.
Festzuhalten bleibt ferner: Karl Marx war längst tot, als die SED gegründete wurde. Auch die Auswüchse des Bolschewismus und des Stalinismus erlebte er nicht mehr und es darf bezweifelt werden, dass er sie gut geheißen hätte. Ihn nun für alle zu Recht von Frau Neumann-Becker benannten dunklen Seiten des Kommunismus und Sozialismus bis hin zu aktuellen Inhaftierung chinesischer Oppositioneller in Verantwortung zu nehmen ist nicht nur unwissenschaftlich, es ist falsch und ideologisch. Ohne Frage sind zahlreiche Verbrechen im Namen von Karl Marx begangen worden und ohne Frage muss sich Schule allgemein und speziell eine mit seinem Namen damit auseinandersetzen. Aber das simple Aufstellen eines Schriftzuges derart mit Bedeutung aufzuladen und dabei nostalgische oder unfreiheitliche Absichten zu unterstellen geht entschieden zu weit – gerade für eine Landesbeauftragte.
Und festzuhalten bleibt außerdem: Gerade Marx und seine Theorien taugen entgegen der Behauptung von Frau Neumann-Becker ganz ausgezeichnet dazu, sich kritisch und im Streit mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen auseinanderzusetzen. Ob seine Kritik am Kapitalismus oder an Religionen (um nur mal zwei Themen herauszugreifen) – Marx ist modern und damit eine hervorragende Grundlage für einen lebendigen Unterricht.
Die Frage ist doch eher: warum reagiert eine Landesbeauftragte ausgerechnet bei einem simplen Namenszug vor einer Schule derart übertrieben? Zumal bei einer Schule, die sich ausweislich ihrer Internetseite sehr wohl mit Marx auseinandersetzt und die vom nicht gerade für Kommunismus-Liebhaberei bekannten Bund Deutscher Architekten ausgezeichnet wurde. Man fragt sich, wo die auf Demokratie und kritische Aufarbeitung bestehenden Wortmeldungen der Landesbeauftragten zu Schulen wie dem Bismarck-Gymnasium in Genthin, der Clausewitz-Schule in Burg oder den Luther- oder Ludwig-Jahn-Schulen im Landes sind. Ebenso unauffindbar sind empörte Wortmeldungen über die Filmkunsttage Sachsen-Anhalt, die es 2017 wagten, einen Film über Karl Marx zu zeigen. Nein, es geht der Landesbeauftragten nicht um kritische Reflexionen von Schule mit ihren Namenspatronen allgemein. Ihre Pressemitteilung war ein ideologischer und unreflektierter Reflex. Karl Marx ist kein Monster, dessen Namen man von öffentlichen Einrichtungen tilgen muss – genauso wenig übrigens wie die Friedrich Engels, August Bebel oder Anton Makarenko (allesamt Namenspatrone für Schulen in Sachsen-Anhalt). Wer Namen nur als rotes Tuch sieht und undifferenziert mit ihnen umgeht, muss sich zumindest nach seiner Eignung fragen lassen in Themen, wo es sehr auf Differenzierung ankommt. Ich wünsche der Sekundarschule jedenfalls viel Freude mit dem neuen Schriftzug und weiterhin viel angeregte Debatte zum ihrem Namensgeber.