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Bildungsminister auf Abwegen

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Marco Tullner ist seit etwas mehr als zwei Jahren Bildungsminister in Sachsen-Anhalt. Er ist ein streitbarer Politiker, der auch in den sozialen Medien wie Twitter unterwegs ist und sich da auch in Diskussionen einmischt. Oft geht es um die Bildungspolitik im Land, bei der vieles zu Recht und manches zu Unrecht kritisiert wird. Aber große Irritationen hat der CDU-Politiker mit einer Äußerung ausgelöst, die nichts mit Schule in Sachsen-Anhalt zu tun hat.

Nach den Aufmärschen und Protesten in Chemnitz wollten etliche Musiker ein anderes Bild der Stadt vermitteln und organisierten am vergangenen Montag ein Konzert unter dem Motto „Wir sind mehr“. Etwa 65.000 Menschen nahmen an diesem Konzert von eher bekannten und eher unbekannten Bands teil und die Botschaft war klar: Wir überlassen Chemnitz nicht Nazis und dem rechten Mob, wir stehen für ein offenes, friedliches Land und wir sind mehr als diejenigen, die Andersaussehende durch die Straßen jagen. Ohne Frage kann man darüber streiten, ob ein solches Konzert die richtige Strategie im Kampf gegen Rechts ist und ob eine solche Symbolaktion ausreicht. Aber oft sind Symbole eben nötig – ohne dabei gleichzeitig die wichtige kontinuierliche Arbeit vor Ort zu vergessen.

 

Während des Konzertes, an dem auch viel Politik-Prominenz teilnahm, haben zahlreiche Menschen Fotos und Videos aus Chemnitz über die sozialen Medien geteilt. Darunter war auch eine Bundestagsabgeordnete der Grünen, Tabea Rößner, die sich u.a. gemeinsam mit den Grünen Toni Hofreiter und Steffi Lemke fotografieren ließ und dazu schrieb, dass die Bundestagsfraktion der Grünen vor Ort sei und man sich auf ein tolles Konzert freuen würde. Soweit, so unverfänglich. Bis Marco Tullner nicht an sich halten konnte und diesen Tweet kommentierte:

Dieser Kommentar ist in mehrerer Hinsicht fragwürdig. Zum Ersten stört sich Herr Tullner anscheinend daran, dass Menschen Freude an einem Konzert haben – einem Konzert, bei dem es um friedliches Zusammenleben, um Toleranz, um eine offene, fröhliche Gesellschaft und gegen Gewalt, gegen Rechtsextremismus, gegen Hass geht. Unabhängig davon, was Herr Tullner privat hört – die Bands auf dem Konzert stehen für Spaß beim Hören. Zum Zweiten ist das Konzert gegen Rechts dem Bildungsminister offenbar ein Kommentar wert – die Ausschreitungen von Nazis in Chemnitz leider nicht. Zum Dritten will Herr Tullner offenbar darauf hinweisen, dass Spaß haben angesichts des Opfers in Chemnitz aus Gründen der Pietät nicht angezeigt wäre. Das ist zumindest ein bedenkenswerter Hinweis – nur blieb dieser Hinweis vom CDU-Mann leider aus, als auf dem angeblichen Trauermarsch tausender Nazis Hintern entblößt, Hitlergrüße gezeigt, Hass geschürt, Polizist*innen und Journalist*innen beleidigt und angegriffen wurden. Zum Vierten muss sich der Bildungsminister fragen lassen, warum er mit diesem Kommentar in das gleiche Horn stößt wie die AfD. Wäre es nicht Aufgabe eines Ministers, der dem Schulwesen und vor allem der Landeszentrale für politische Bildung vorsteht, demokratischen, friedlichen Protest gegen Ausländer*innenhass und Rechtsextremismus zu unterstützen? Und das vor dem Hintergrund einer Debatte in Sachsen-Anhalt um die Förderung des Vereins „Miteinander“, in der sich die CDU im Land gegen diese Verein wendet und damit zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts im Regen stehen lässt.

Das alles offenbart nicht nur einen Ausrutscher, sondern eine gezielte Diskreditierung von tausenden Menschen, die ein Zeichen gegen Nazis setzen und sich für eine tolerante Gesellschaft stark machen. Herr Tullner sollte sich fragen, welches Bild von Chemnitz und letztlich auch welches Bild von Sachsen-Anhalt er als Minister vermitteln möchte – ein fröhliches, offenes, buntes Bild oder ein hasserfülltes, rückwärts gewandtes, aggressives, abschottendes Bild.

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