Struktureller Benachteiligung muss strukturell begegnet werden!
Die Debatte um eine Quote für Ostdeutsche in hohen Verwaltungsämtern dauert (leider) schon mehrere Jahre, ohne dass es zu wirklichen Maßnahmen kommt. Immer wieder gibt es entsprechende Forderungen von prominenter Seite, zuletzt von der Tochter Regine Hildebrandts, Frauke Hildebrandt, im Tagesspiegel. Die Gegner*innen einer solchen Quote sind dann nicht weit und lehnen das Ansinnen mit teils merkwürdigen Argumenten ab – so z.B. die ostdeutsche FDP-Bundestagsabgeordnete Linda Teuteberg.
Dass nun die FDP gegen eine ordnungspolitische Maßnahme wie eine Quote ist verwundert zunächst nicht, lautet doch ihr Credo: möglichst wenig staatliche Gängelung. Wie „toll“ Institutionen ohne Quote funktionieren, zeigt schon die magere Frauenquote der FDP-Bundestagsfraktion, die bei gerade mal 23% liegt.
Das erste Argument gegen eine „Ossi-Quote“ ist der ungenaue Begriff „ostdeutsch“. Sicherlich haben Begriffe, die sich vor allem um Sozialisation und Identität drehen, immer einen Nachteil, da sie selten eindeutig quantifizierbar sind. Dennoch kann man – bezogen auf historische, sprachliche und kulturelle Prägungen, aber auch aufgrund der Transformationserfahrung nach 1990 und der Zuschreibung von außen („Die doofen Ossis“) – natürlich von einem Konstrukt der Ostdeutschen als Gruppe sprechen. Frauke Hildebrandt, Professorin an der FH Potsdam, schlägt als Definition eine Sozialisation in den ostdeutschen Bundesländern vor und meint damit, dass die schulische Bildungsbiographie in den ostdeutschen Bundesländer angesiedelt sein muss und sich die Menschen bis heute dort verorten. Das wäre eine brauchbare Begriffsklärung – die Definition sollte jedenfalls kein Grund sein, gegen eine Quote zu sein.
Aber Linda Teuteberg offenbart noch mehr Gründe gegen eine verbindliche Quote für Ostdeutsche: es muss nach Befähigung und Eignung, nicht nach Herkunft gehen. Dieser ganz objektiv richtige Grundsatz wird aber einerseits schon heute ganz offiziell umgangen, wenn es z.B. um Menschen mit Behinderungen geht, die bei gleicher Eignung zu bevorzugen sind. Und andererseits ist diese Aussage ein Schlag ins Gesicht vieler Ostdeutscher und zwar aus zwei Gründen: erstens konnten viele ehemalige DDR-Bürger*innen die formal im vereinten Deutschland geforderten Voraussetzungen nicht erfüllen (obwohl sie durchaus geeignet und befähigt gewesen wären) und zweitens scheinen dann – folgt man der Auffassung von Frau Teuteberg – offenbar auch heute noch ostdeutsch sozialisierte Menschen schlicht weniger fähig und geeignet zu sein.
Einige wenige Zahlen zeigen, dass diese Kausalkette der FDP-Abgeordneten Unsinn ist: in der Bundestagsverwaltung sind von 119 Führungskräften 5 aus dem Osten (0 von 4 Abteilungsleiter*innen, 1 von 14 Unterabteilungsleiter*innen und 4 von 101 Referatsleiter*innen, nach Mitteldeutsche Zeitung) – das sind 4%. In den 14 Bundesministerien sind von 120 Abteilungsleiter*innen gar nur 4 mit ostdeutschen Wurzeln – das sind 3%, wie eine Anfrage der Linksfraktion ergab. Sollen Ostdeutsche also heute, 30 Jahre nach der Einheit, so ungeeignet sein, dass sie trotz eines Bevölkerungsanteils von 17% nur rund 4% in hohen Ämtern auf Bundesebene zu finden sind? Schwer zu glauben. Nun könnte man einwenden, dass die Posten auf Bundesebene ja schwer zu erreichen sind. Mag sein – darum der Gegentest für eine ostdeutsche Landesregierung: die Enquetekommission des Landtages Brandenburg zur Aufarbeitung der SED-Diktatur – in der übrigens auch Frau Teuteberg Mitglied war – hat den personellen Wandel in den Landesministerien Brandenburgs untersucht. Dabei kam heraus, dass noch im Jahr 2010 rund 81% der Staatssekretär*innen und 75% der Abteilungsleiter*innen aus dem Westen kamen (Gutachten von Rüdiger/Catenhusen zur Personellen Kontinuität und Elitenwandel in Landtag und Landesregierung, S. 33). Ähnliches ist übrigens an den Lehrstühlen der ostdeutschen Hochschulen zu beobachten (Beispiel Uni Leipzig: Die Transformation der ostdeutschen Universität). Sollen Ostdeutsche also selbst für Posten in einer ostdeutschen Landesverwaltung zu unfähig sein?
Natürlich nicht. Aber wenn auch noch so viele Jahre nach der Wende eine solche eklatante Benachteiligung existiert, kann das nicht mit rechten Dingen zugehen. Das erkennt sogar FDP-Frau Teuteberg: „Die reale ostdeutsche Unterrepräsentanz in Führungsfunktionen, übrigens selbst im Osten der Republik, ist eine Tatsache, die zunehmend nicht mehr nur aus den historischen Besonderheiten erklärt werden kann.“ Leider fragt sie sich nicht, was denn dann eine Erklärung sein könnte.
Der Kern ist, dass Menschen mit einer ostdeutschen Sozialisation strukturell benachteiligt werden. Ein Grund dafür sind Netzwerke von etablierten Westdeutschen, die sich tendenziell eher Mitarbeiter*innen bzw. Nachfolger*innen aus ihrer eigenen Sozialisation holen. Der geradezu zynische Rat von Linda Teuteberg: Ossis sollen sich mehr trauen und nicht zurückhaltend sein. Das ist schon ein starkes Stück – nicht nur der oberflächliche Rat an sich, sondern auch die implizite Schuldzuweisung an die Ostdeutschen: wärt ihr selbstbewusster bei den Bewerbungen, hättet ihr längst die Spitzenpositionen. Nein, eine strukturelle Benachteiligung kann man nur strukturell beheben – daher ist eine Quote sinnvoll und nötig. Diese Notwendigkeit hat übrigens die Enquetekommission erkannt und daher in ihren Empfehlungen formuliert: „Die Landesregierung sollte im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten darauf hinwirken, dass die Qualifikationen von Landeskinder für höhere und höchste Positionen im öffentlichen Dienst verstärkt gefördert werden. Weiterhin ist darauf zu achten, dass ostdeutsche Bewerberinnen und Bewerber für den öffentlichen Dienst keine ungerechtfertigten Benachteiligungen aufgrund ihrer Biografien erfahren.“ (Abschlussbericht, S. 326).
Dieser Empfehlung hat auch das FDP-Mitglied der Kommission zugestimmt. Auch wenn dort keine Quote beschlossen wurde, so hätte sich Frau Teuteberg zumindest nochmal ansehen können, welche Problemlagen bezüglich der Benachteiligung Ostdeutscher schon vor 4 Jahren in ihrem Beisein beschrieben wurden. Nimmt man diese Probleme Ernst, bleibt als logische Konsequenz nur die Forderung nach einer Quote.