„Aber alle oder keiner“ – zum Religionsunterricht an Schulen
Aktuell streitet die Jamaika-Koalition in Sachsen-Anhalt über die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts an Schulen. Dazu hatten CDU, SPD und Grüne im Koalitionsvertrag (S. 17) eine Prüfung vereinbart, die Bildungsminister Tullner nun anscheinend eher halbherzig mit einer Ablehnung vorgenommen hat. Doch diese Entscheidung ist falsch.
Laut Mitteldeutscher Zeitung argumentiert das Bildungsministerium damit, dass die muslimischen Gemeinden keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes sind. Grund hierfür sei die fehlende zentrale Autorität der muslimischen Gemeinden. Das ist schon starker Tobak. Über Artikel 140 GG sind einige Artikel der Weimarer Reichsverfassung, die sich mit religionspolitische Themen befassen, auch heute noch Bestandteil des Grundgesetzes. Sowohl Artikel 4 des Grundgesetzes als auch Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung garantieren die unbeschränkte Religionsausübung. Es wird sowohl die Vereinigungsfreiheit ohne Voraussetzungen als auch der beschränkungsfreie Zusammenschluss von und zu Religionsgesellschaften staatliche gewährleistet. Nirgendwo ist erwähnt, dass es einer zentralen Autorität bedarf. Diese Denkweise ist allein Ergebnis einer christlichen, zentralistischen Prägung und ist in höchstem Maße diskriminierend. Sie macht nämlich die Strukturen der dominierenden Religionsgemeinschaft zur Voraussetzung für eine gleichberechtigte Anerkennung als Religionsgemeinschaft – und das ist falsch.
Außerhalb des sachsen-anhalter Bildungsministeriums ist man da bereits weiter und gewährt – entsprechend dem Gleichbehandlungsgrundsatzes – sowohl muslimischen als auch jüdischen Religionsgemeinschaften den Zugang zu einer universitären Ausbildung oder zur Seelsorge – wenn auch nicht wirklich in gleichberechtigtem Maß und auch erst seit einigen Jahren. Gleiches muss auch für den konfessionellen Religionsunterricht gelten: wenn der Staat es den Kirchen ermöglicht, konfessionellen Unterricht in staatlichen Schulen anzubieten (und diesen auch üppig finanziell zu unterstützen), dann muss dies auch für andere Religionsgemeinschaften gelten. So sieht es Artikel 7 des Grundgesetzes vor, der eine Abstimmung zwischen staatlichem Schulwesen und den Religionsgemeinschaften vorschreibt. Fehlende zentrale Autorität kann und darf hierfür kein Kriterium sein. Andere Bundesländer wie beispielsweise Baden-Württemberg (wo eine Stiftung als offizieller Kooperationspartner gegründet wird) oder Hessen (wo die zwei muslimischen Landesverbände vom Land schlicht als Kooperationspartner anerkannt wurden) machen es vor, wie das Problem des zentralen Ansprechpartners umgangen werden kann. Und so ein großes Problem scheint das mit dem fehlenden zentralen Ansprechpartner nicht zu sein – andernfalls wäre ein Staatsvertrag zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und der jüdischen Gemeinschaft im Land wohl kaum möglich gewesen.
Religionspolitisch und rechtlich gesehen muss daher gelten, dass es entweder konfessionellen Unterricht an staatlichen Schulen für alle anerkannten Religionsgemeinschaften geben muss (wenn diese es denn wollen) oder für keine. Aber genau hier macht das Bildungsministerium einen Unterschied und der ist falsch. Strukturelle Differenzen zwischen den Religionsgemeinschaften dürfen aufgrund der grundgesetzlich geschützten Organisationsfreiheit kein Argument sein – vielmehr müssen daher Wege gefunden werden, wie dieser Unterricht entsprechend organisiert wird. Genau das sieht übrigens der Koalitionsvertrag in Sachsen-Anhalt vor: Grundsatz ist die Einführung des konfessionellen Islam-Unterrichts und geprüft werden soll durch Herrn Tullner nur der rechtliche Rahmen der Umsetzung. Lösbar wäre das Problem in Sachsen-Anhalt recht einfach. Hier gibt es das Fach Ethik, in dem neben weltanschaulichen auch religiöse Themen diskutiert werden. Wenn hier alle Religionsgemeinschaften in die Erarbeitung der Lerninhalte einbezogen würden und Ethik ein Pflichtfach wäre, wäre auch der konfessionelle Religionsunterricht überflüssig bzw. nur noch als ergänzendes Fach notwendig. Diese Forderung macht auch DIE LINKE im Landtag Sachsen-Anhalt auf. Nur fehlt hier der Aspekt – ganz im Sinne Gundermanns – der Gleichbehandlung: entweder konfessioneller Religionsunterricht von allen oder eben von keinem und damit Aufwertung des Faches Ethik.