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Schlecht reformiert statt gut studiert

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Inzwischen ist die als Bologna-Reform bekannt gewordene europaweite Veränderung der Studienstruktur 16 Jahre alt. Das nahm die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Mitte Juli offenbar zum Anlass, eine gemeinsame Erklärung zur „Konsolidierung und Optimierung des Umsetzungsprozesses“ abzugeben. Aber die Straße auf dem Weg nach Bologna ist gerade in Deutschland übersäht von Schlaglöchern.

Stolz berichten KMK und HRK von einer hohen Umsetzungsquote – fast 100% Ba/Ma-Studiengänge an den Fachhochschulen, knapp 90% insgesamt. Aber 16 Jahre nach dem Start der Bologna-Reform und zahlreichen kritischen Zwischenbilanzen von Studierendenseite oder Gewerkschaften wäre es an der Zeit gewesen, wirklich offen die Probleme zu benennen. Und die gibt es zahlreich:

  • In der Erklärung selbst klingt es wie ein Erfolg – rund 1/3 der Studierenden absolviert während des Studiums ein Auslandsaufenthalt. Aber ist das ein Grund zum Jubeln? Immerhin war die Verbesserung der Mobilität der Studierenden eines der Hauptargumente für die Studienreform. Rund 30% sind eher eine bescheidene Bilanz – doch warum sind es so wenig? Erstens ist die Anerkennung vom im Ausland erworbenen Leistungen noch immer nicht zufriedenstellend; hier mahnen KMK und HRK zu Recht zu mehr kompetenz-orientierten Studieninhalten und einer strikten Einhaltung der Lissabon-Konvention (die besagt, dass nicht Studierende beweisen müssen, dass ihre Auslands-Studienleistung gleichwertig ist und damit anerkannt werden muss, sondern dass Hochschulen beweisen müssen, dass sie es nicht sind). Und zweitens ist ein Studium im Ausland immer noch eine Frage des Geldes. Solange hier die Studienfördersysteme nicht auf die Anforderungen von Mobilität in Zeiten von Bologna reagieren, werden Auslandsaufenthalte für Studierende aus sozial benachteiligten Schichten ein Traum bleiben.
  • Eine Folgeerscheinung der Reform sollte eine verbesserte Duchlässigkeit im Studium sein. Aber trotz formaler Gleichwertigkeit von FH- und Universitätsabschlüssen ist der Wechsel zwischen FH und Uni noch keine Selbstverständlichkeit. Gerade im Bereich der Promotion sind wir von einem gleichberechtigten Zugang von FH-Absolvent*innen oder auch nur von einer breiten kooperativen Promotion noch weit entfernt. Aber leider belässt es die Erklärung auch hier nur bei einem Appell.
    Ähnlich sieht es aus zwischen den Studiengängen und Fachrichtungen – immer spzeialisiertere konsekutive Bachelor und Master schotten sich von Bewerber*innen von außen ab. Der mit der Reform angedachte offene, flexible Wechsel zwischen Ba und Ma wird so erschwert. Zudem ist gerade der Übergang vom Ba zum Ma auch heute noch ein massiver Bildungstrichter, der Zugang zum Master wird durch Prüfungen und hohe Voraussetzungen künstlich reglementiert. Der freie Zugang zum Master ist und bleibt damit eine berechtigte und notwendige Forderung.
  • Die Reform von Bologna löst mehr und mehr die Grenzen zwischen den Hochschulformen auf. Auch wenn (siehe Punkt 2) die formale Gleichwertigkeit noch nicht immer zu einer reellen Gleichwertigkeit führt, hat dennoch das Studiensystem von Ba/Ma mit „anwendungsorientierten“ und „forschungsorientierten“ Studiengängen eine Angleichung zwischen Fachhochschule und Universität erreicht. Zu Recht fordern gerade forschungsstarke Fachhochschulen inzwischen das Promotionsrecht, etliche Universitäten öffnen sich (auch mit Dualem Studium) einer praxisnäheren Ausbildung. Zu diesem Komlex verlieren KMK und HRK aber kein Wort – dabei wird sich das Hochschulsystem in den kommenden Jahren weiter verändern, die Hochschulformen werden sich weiter angleichen und dafür braucht es eine Strategie.
  • Auf viele Probleme aus Sicht der Studierenden geht die Erklärung leider gar nicht oder nur am Rande ein. Eine offenkundige Konsequenz aus der Studienstrukturreform ist eine deutliche Abnahme an ehrenamtlichen Engagement der Studierenden, gerade auch in Selbstverwaltungsgremien. Verbunden mit der deutlichen Zunahme an psychischer Beratung spricht vieles für ein massiv gestiegenes Stress-Level und erhöhten Prüfungsdruck mit Ba/Ma.
    Zwar betonen KMK und HRK, dass es im Rahmen der Umsetzung von Bologna in Deutschland flexible Lösungen zur Regelstudienzeit gibt – aber zum eigentlichen Problem äußern sie sich nicht. Das Ziel, mit Bachelor und Master die Studienzeiten deutlich zu reduzieren, ist jedenfalls nicht erfüllt. Die Studiendauer hat sich im Vergleich zum Diplom nur unwesentlich verkürzt. Sinnvoll wäre daher eine Anpassung der Regelstudienzeiten an die realen Verhältnisse.
    In dem Zusammenhang hätte die Erklärung auch auf das Problem Bafög eingehen können oder auf aktuelle Erfordernisse wie ein Ausbau des Teilzeitstudiums – aber leider Fehlanzeige.
  • Das Problem der Akkreditierung wird zumindest angesprochen – aber ohne wenig konkrete Vorschläge. Der enorme bürokratische und finanzielle Aufwand der Akkreditierung, der eine erhebliche Belastungen für die Hochschulen darstellt, sollte mit Einführung der Systemakkreditierung reduziert werden. Diese Möglichkeit wird aber bisher nur wenig genutzt, die Aufwendungen für Akkreditierung und Reakkreditierung sind stetig gestiegen. So notwendig ein systematisches Qualitätsmanagement, so reformbedürftig ist das aktuelle Akkreditierungswesen aufgrund fehlender Transparenz, mangelhafter Beteiligung und hoher Kosten. Nicht zuletzt das Verfassungsgerichtsurteil aus NRW hat dazu Hinweise geliefert.

Positiv erwähnt werden sollte, dass die Vorschläge bzw. Forderungen hinsichtlich der Einführung der relativen Note, des Zugangs zum höheren Dienst für Bachelorabsolvent*innen (unter bestimmten Voraussetzungen) oder die Weiterentwicklung des Kapazitätsrechtes durchaus sinnvoll sind. Aber auch hier bleiben die mächtigen Institutionen KMK und HRK erstaunlich zahm. Einde lautere und drängende Ansage in Richtung Innenminister für das Laufbahnrecht oder Bundesregierung für ein bundesweites Zulassungsrecht hätte der aktuellen Debatte gut getan.

Der Prozess der Studienstrukturreform hätte nach über 15 Jahren – um im Bild zu bleiben – eine gründliche Asphalterneuerung verdient. Die KMK und die HRK beschränken sich leider darauf, auf einige ausgewählte Schlaglöcher hinzuweisen, sich über die Holprigkeit der Straße zu beklagen und bestenfalls für einige Stellen auf die Ausbesserungsmasse zu verweisen. Das aber ist zu wenig.

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